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Rechnet sich verantwortliches Handeln für Unternehmen?

Stellen wir uns vor, ein Unternehmen würde auf seiner Webseite folgendes kommunizieren: „Wir sind der Gewinnerzielung verpflichtet. Daher halten wir uns an Gesetze, Verträge, unsere Werte und unsere Versprechen, wenn es sich für uns lohnt.“ Es ist anzunehmen, dass eine solche Art, sich zu präsentieren, mindestens Stirnrunzeln auslösen würde – und Misstrauen. Man würde diese Offenheit vielleicht erfrischend finden, doch als Kooperationspartner – Kunde, Zulieferer, Mitarbeitende usw. – käme vermutlich die Frage auf, ob man sich auf dieses Unternehmen verlassen kann; was, wenn es sich für das Unternehmen nicht rechnet?

So gesehen erscheint die Titelfrage in einem neuen Licht: Ist es überhaupt angemessen, nach dem „business case“ von verantwortlichem Handeln zu fragen? Denn dies impliziert ja eine Priorisierung ökonomischer bzw. betriebswirtschaftlicher Werte vor denen der Ethik – Gewinn geht vor Verantwortung.

Eben dies war für Peter Ulrich Anlass, seine Integrative Wirtschaftsethik auszuarbeiten. Für ihn ist es die Ethik, die den Vorrang haben muss, im Zweifel auch vor ökonomischen Kalkülen. Dies hat zur Folge, dass sich die Titelfrage dann erübrigt, denn verantwortliches Handeln ist in jedem Fall gefordert, selbst wenn es sich mal nicht rechnen sollte.

Doch diese Perspektive führt ebenfalls in Probleme, wie etwa Karl Homann zeigte. Denn sofern verantwortlich agierende Unternehmen deshalb systematisch Wettbewerbsnachteile haben, sind am Markt die nicht verantwortlichen Unternehmen erfolgreich, was aus gesellschaftlicher Sicht gewiss nicht wünschenswert ist. Deshalb, so Homanns Argumentation, müsse durch eine geeignete Rahmenordnung gewährleistet werden, dass sich verantwortliches Handeln rechnet.

Homanns Ansatz zeigt die sittliche Bedeutung der (rechtlichen) Regeln für jedes Wirtschaftssystem auf und ist in der Tat eine Voraussetzung dafür, dass verantwortliches Handeln von Unternehmen dauerhaft möglich ist. Doch er lässt die Frage offen, wie im unternehmerischen Alltagsbetrieb mit dem Problem umgegangen werden soll, dass es auf der Handlungsebene immer wieder zu Konflikten zwischen Anforderungen der Verantwortung einerseits und dem Erreichen finanzieller Ziele andererseits kommt; es wäre aussichtslos, jeden Einzelfall durch geeignete Regeln vermeiden zu wollen, dies würde auch die unternehmerische Freiheit viel zu sehr beschneiden.

Tatsächlich lässt sich oft feststellen, dass verantwortliches Handeln, zumindest kurzfristig, mit höheren Kosten einhergeht; umgekehrt formuliert: dass unverantwortliches Handeln Kosten reduzieren und Erträge bzw. Gewinne steigern kann. Beispiele für letzteres sind Korruption, Unterschreiten sozialer oder ökologischer Standards, Externalisierung von Kosten, Ausnutzen von Informationsasymmetrien zu Lasten des Geschäftspartners usw. Die darin liegenden Vorteile für das unverantwortlich handelnde Unternehmen sind ja der Grund für ein solches Verhalten. Zugleich wird deutlich, dass es praktisch immer mit Schädigungen anderer verbunden ist – eben darum ist es ja unverantwortlich.

Nun wäre es fatal, wenn der Schluss lautete, dass sich verantwortliches Handeln im unternehmerischen Alltag generell nicht rechnete, sprich: systematisch mit (Wettbewerbs-) Nachteilen verbunden ist. Doch die Alltagserfahrung lehrt, dass dieser Schluss ebenso verfehlt ist wie die gegenteilige Annahme, dass sich Verantwortung stets lohne.

Vielmehr gilt: Es bedarf spezifischer Kompetenzen, um Moral und Gewinn miteinander vereinbar – und besser: füreinander fruchtbar zu machen.

Das beginnt mit der Perspektive, mit der man auf die Dinge schaut: Sofern die Kosten (verantwortlichen Handelns) vor allem im Fokus sind, werden Ethik, Moral, oder wie immer man diese Wertdimension benennen möchte, als Problem wahrgenommen; denn Kosten will man möglichst reduzieren. Anders ist es, wenn man die Perspektive ändert hin zu: think investment not cost!

Denn auch wenn kurzfristig unverantwortliches Handeln vorteilhaft sein mag – anders sieht es aus, wenn man den Zeithorizont ausdehnt: Anderen Schaden zuzufügen bleibt nicht ohne Folgen. Denn entweder werden die Betroffenen selbst reagieren oder Dritte, die das unverantwortliche Verhalten mitbekommen haben, ziehen ihre Schlüsse im Hinblick auf künftige Kooperation.

Aus ökonomischer Sicht lassen sich daraus zwei wesentliche Gründe herleiten, warum sich „Ethik“ längerfristig doch rechnen kann:

  1. Man vermeidet künftige Kosten, die als Folge des heutigen unverantwortlichen Handelns entstehen: Schadensersatzzahlungen, Prozesskosten, Bußgelder, Strafen, Haftung, Reputationsschäden und anderes mehr
  2. Man verbessert die künftigen Kooperationschancen, die sich etwa in höherer Kundenloyalität, höherer Produktivität der Mitarbeiter, besseren (Risiko-)Bewertungen des Kapitalmarktes, vertrauensvollerer – und damit auch transaktionskostengünstigerer – Zusammenarbeit mit Zulieferern und anderem mehr zeigt.

Vor allem der letzte Punkt macht deutlich, dass verantwortliches Verhalten, wenn man so will, eine Investition in Vertrauen(swürdigkeit) ist. Stakeholder bzw. Kooperationspartner werden eher bereit sein, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, wenn sie das Vertrauen haben können, dass sie in dieser Kooperation nicht geschädigt werden. Zur Erinnerung: Eben dadurch war Unverantwortlichkeit charakterisiert, dass es andere schädigt.

In diesem Zusammenhang zeigt sich indes ein bemerkenswertes Phänomen, das möglicherweise sogar Folgen bis in die Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Forschung und Lehre haben könnte: Je mehr ein Akteur (Unternehmen) erkennen lässt, dass er (es) bei Investitionen in Vertrauen (verantwortlichem Handeln) auf den eigenen monetären Vorteil – den „business case“ – achtet, umso weniger werden sich diese Investitionen rechnen.

In gewissem Sinne wurde dies bereits deutlich am eingangs genannten Beispiel eines Unternehmens, das offen kommuniziert, seinen Vorteil über alles andere zu stellen, und deshalb vermutlich auch bereit ist, andere zu schädigen, sofern es sich für sie lohnt. Einem solchen Unternehmen vertraut man nicht. Denn die Vertrauenswürdigkeit reicht ja eben nur so weit, wie es sich für das Unternehmen rechnet.

Allerdings heißt das nicht, dass Unternehmen deshalb gar nicht rechnen dürften, wenn es um mögliche Schädigungen anderer geht. Die Frage ist vielmehr, wie sie rechnen und welche Werte sie dabei zugrunde legen.

Genauer lautet die Frage, ob man dem verantwortlichen Handeln – das heißt, der Vermeidung unangemessener Schädigungen anderer – einen Eigenwert beimisst oder nicht.

Wenn das Erstere der Fall ist, können Kooperationspartner des Unternehmens das Vertrauen haben, dass ihre Interessen angemessen berücksichtigt werden. Wenn das jedoch nicht gilt, wenn mit anderen Worten Verantwortlichkeit oder andere moralische Werte und Normen nur einen instrumentellen Wert haben, dann muss man befürchten, bei der erstbesten Gelegenheit vom Unternehmen über den Tisch gezogen zu werden, nämlich eben dann, wenn es sich – aus Sicht des Unternehmens – nicht rechnet.

Daraus ergibt sich eine paradoxe Folgerung: Verantwortliches Handeln rechnet sich eher, wenn man manchmal weniger rechnet und stattdessen (auch) danach entscheidet, was ‚richtig‘ im Sinne von verantwortlich ist, nämlich andere nicht zu schädigen. Das schließt im Übrigen die messbaren Kosten und Erträge ein, kann aber nicht darauf reduziert werden.

Verantwortliches Handeln hat seinen Preis, ist es aber auch wert.

22.09.2020

 

Prof. Dr. Andreas Suchanek
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